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11 / 3 / 2021

Von Nürnberg nach Cambridge und zurück

Das bauliche Erbe des Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus im Vergleich

Sammeln, Bewahren, Forschen und Ausstellen – das sind die klassischen Aufgaben eines Museums. Allerdings fehlen vielen Museen, so auch dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, häufig die finanziellen und personellen Ressourcen, um umfassend eigene Forschung zu betreiben und dies auch in einem internationalen Kontext zu diskutieren. So war es schon etwas Besonderes, als 2018 eine Anfrage der Universität Cambridge am Dokumentationszentrum einging zur Teilnahme an einer Tagung unter dem Titel Heritage in the Making. Dealing with the Legacies of Fascist Italy and Nazi Germany (Erbe im Entstehen. Der Umgang mit den Hinterlassenschaften des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland). Die Teilnahme an internationalen Tagungen ist wegen der Kosten und des Aufwandes für Mitarbeitende des Dokumentationszentrums eher die Ausnahme. So war die Einladung (samt Reisekostenübernahme) aus Cambridge eine Chance, mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern ins Gespräch zu kommen, andere Umgangsweisen mit architektonischen Hinterlassenschaften des Faschismus näher kennenzulernen und dies zum Beispiel mit dem zu vergleichen, was mit den Bauten des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes nach 1945 geschah. Die Tagung fand Anfang Dezember 2018 in Cambridge am McDonald Institute for Archaeological Research unter der Leitung der dort tätigen Forscherin Flaminia Bartolini statt.

Titelblatt und Rückseite der Fachzeitschrift Ex Novo Vol. 5/2020. Bildnachweis: Ex Novo

Klar wurde bei den Vorträgen über verschiedene historische Orte Italiens – von Bozen (faschistischer Triumphbogen), Predappio (Geburtsort Mussolinis), Tresigalo (Umgestaltung des Ortskerns im Faschismus), über Torviscosa (faschistische Planstadt) bis Fossoli (Deportationslager für Juden) –, dass in Italien teilweise völlig anders mit faschistischen Architekturen umgegangen wird, als dies in Deutschland mit Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus geschieht. Während in Bozen die Ausstellung „BZ ’18–’45: ein Denkmal, eine Stadt, zwei Diktaturen“ klug einen faschistischen Triumphbogen zur Einnahme Südtirols kommentiert, finden im Geburtsort Mussolinis manchmal unerträgliche Treffen von alten und neuen Faschisten an der Gruft des „Duce“ statt, gegen die das Projekt eines Dokumentationszentrums (bislang eher chancenlos) ankämpft. Von manchen Kreisen der italienischen Gesellschaft wird das Erbe des italienischen Faschismus auch positiv gesehen. Die Haltung gegenüber dem Regime Mussolinis ist weit weniger eindeutig als (überwiegend) in Deutschland gegenüber dem Nationalsozialismus.

Es ist bezeichnend, dass die 2016 in Bozen eingerichtete Ausstellung die erste Dauerausstellung in Italien überhaupt war, die den italienischen Faschismus thematisierte. Die Vielfalt der Bauten des faschistischen Italien, die teilweise auch betont moderne Tendenzen einbeziehen, wurde durch das bei den Vorträgen gezeigte Bildmaterial sehr deutlich – auch dies ein großer Unterschied zu der Architektur aus der Zeit des Nationalsozialismus, die sich zwar nicht auf die Monumentalarchitektur etwa der Nürnberger Bauten reduzieren lässt, aber doch kaum Platz für avantgardistische Gestaltungen lässt, wie sie in Italien durchaus möglich waren.

Der etwas kürzer gehaltene Blick auf bauliche Hinterlassenschaften und historische Orte des Nationalsozialismus – auf deutsche Bunkeranlagen auf den Inseln des Ärmelkanals, auf das Nürnberger Reichsparteitagsgelände, das Projekt eines „Hauses der Verantwortung“ in Hitlers Geburtshaus in Braunau und auf den Flughafen Tempelhof – zeigte aber auch eine große Bandbreite im Umgang mit ganz unterschiedlichen Bauten der NS-Zeit in Deutschland und Österreich.

Skulptur „Genie des Faschismus“, jetzt unter dem Titel „Genie des Sports“. Bildnachweis: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Genio_del_Fascismo.jpg, Foto: Italo Griselli

Flaminia Bartolini zieht, auch auf Basis ihrer eigenen Forschungen, ein sehr kritisches Fazit aus der Tagung und aus dem Umgang insgesamt mit Bauten des Faschismus in den letzten Jahren. Am Beispiel von Mussolinis Villa Torlonia in Rom, dem Foro Italico und der Planstadt EUR (beides ebenfalls in Rom erhalten und restauriert) zeigt sie, dass Architektur und Kunst des Faschismus in einer absolut unkritischen Weise kommentarlos im Stadtbild präsent sind – einschließlich beispielsweise einer weithin sichtbaren Inschrift „Mussolini DUX“, einem Relief mit Mussolini zu Pferd und einer Art Herrenmenschenskulptur mit dem Titel „Genie des Faschismus“.
Der Text von Flaminia Bartolini (PDF-Datei 873 KB)

Obelisk mit Inschrift „Mussolini Dux“ auf dem Foro Italico in Rom. Bildnachweis: Wikipedia

Ein derart verharmlosendes Bild vom Faschismus führte sogar soweit, dass in einer 2018 eingerichteten Ausstellung im Museum „MuSa“ in Salò am Gardasee Mussolini als Opfer von Gewalt der Partisanen dargestellt und der Bombenkrieg der Alliierten dem Terror des Faschismus gleichgesetzt wurde. Für Italien stellt Flaminia Bartolini ernüchtert fest: „Ich würde argumentieren, dass die materiellen Hinterlassenschaften des Faschismus noch immer eine starke Quelle für Faszination im heutigen Italien sind. Die Tatsache, dass in den letzten zehn Jahren viele Kunstwerke und Bauten des ‚Ventennio‘ (italienischer Ausdruck für die zwei Jahrzehnte des Faschismus) zu einem historischen Erbe wurden und wieder in den öffentlichen Raum gelangt sind, zeigt (…) möglicherweise auch einen beunruhigenden Sinn für faschistischen Stolz.“

Der dichte Vortragstag hinterließ einen zwiespältigen Eindruck des Umgangs mit dem faschistischen Erbe in Italien – und die Erkenntnis, dass Vergleiche zwischen den architektonischen Welten des Faschismus und des Nationalsozialismus alles andere als einfach sind. Dennoch hilft der Blick auf den Umgang mit Architekturen in anderen politischen Systemen, die eigenen Diskussionen einzuordnen. Auch wenn man in Nürnberg nicht von einer simplen Erfolgsgeschichte der „Erinnerungskultur“ sprechen sollte, darf man ohne Selbstgerechtigkeit feststellen, dass die Debatten etwa um das Reichsparteitagsgelände nach 1945 zwar auch ihre Brüche und Falschheiten hatten, aber weitestgehend ohne eine Faszination für den Nationalsozialismus geführt wurden.
Der Beitrag zu Nürnberg (PDF-Datei 1,16 MB)

St. Johns College in Cambridge. Bildnachweis: Alexander Schmidt

Geboten wurde dann am Abend der Tagung noch das Eintauchen in eine völlig andere Welt: Bei der Besichtigung des St. Johns College mit seiner charakteristischen Brücke über das Flüsschen Jam hätte es niemanden gewundert, wenn Harry Potter mit Hermine und Ron in einem der Seitengänge aufgetaucht wäre. Die alten Mauern strahlen eine grandiose Atmosphäre aus.

Es dauerte schließlich noch eine ganze Weile, bis die Vorträge veröffentlicht wurden. Die Beiträge mussten nach wissenschaftlichen Standards verschriftlicht, von je zwei Gutachtern bewertet und die Korrekturen eingearbeitet werden. Die Mühlen der Wissenschaft malen manchmal langsam – aber immerhin: Im Dezember 2020 erschien die Onlineausgabe der archäologischen Fachzeitschrift Ex Novo und im Januar 2021 auch die Printausgabe mit den Beiträgen der Tagung.
Onlineausgabe Ex Novo

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